Was soll man mit diesem Buch anfangen? Wieder einmal ist es eine Auflistung all der Probleme und Versäumnisse, mit denen wir auf ökologischer, gesellschaftlicher und politischer Ebene konfrontiert sind. Es beginnt mit dem Satz »Die Menschheit steht vor einer schrecklichen Gefahr – und einer kaum noch vermeidbaren Katastrophe«, und endet apokalyptisch mit dem Pauluszitat: »Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht.«
Dazwischen wird uns das ganze Spektrum menschlicher Dummheit präsentiert: Das Auto, als scheinbar ewiges Statussymbol und Luftverschmutzer par excellence, das darüber hinaus seit seiner Erfindung Ende des 19. Jahrhunderts zirka dreißig Millionen Menschen getötet hat. Die Unsinnigkeit des Elektroautos, das in Wahrheit kein Problem löst, sondern den »Autonutzern ihren Spaß genauso gönnen will wie bisher; nur mit besserem Gewissen.« Das ewige Totschlagargument der bedrohten Arbeitsplätze, mit dem jede Entwicklung verhindert werden kann. Das Bevölkerungswachstum, von zirka zwei Milliarden Menschen vor dem Zweiten Weltkrieg – übrigens die Schulzeit des mittlerweile vierundneunzigjährigen Autors -, bis hin zu prognostizierten acht Milliarden Menschen in den kommenden Jahren. Das Problem, bzw. die praktische Unmöglichkeit, diese Menschen zu ernähren und mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Der zunehmende Fleischkonsum, nicht zuletzt durch die aufstrebenden Schwellenländer Indien und China. Die zerstörerischen Methoden der Landwirtschaft. Die »Lüge der Nachhaltigkeit«, der Massentourismus und nicht zuletzt die in Zukunft zu erwartenden Flüchtlingsströme. Wenn Wolf Schneider an dieser Stelle schreibt, »dass ganze Heerscharen von jungen, kriegstauglichen Männern auf die Chance zur Invasion« Europas warten, fragt man sich allerdings, ob der Autor noch alle Sinne beisammenhat? Noch dazu in Anbetracht der Tatsache, dass kein Monat vergeht, ohne dass Flüchtlinge aus Libyen im Mittelmeer ertrinken. Allein in diesem Jahr sind es bereits fast siebenhundert! Eine Invasion sieht anders aus.
Wir wissen doch längst schon alles
Was uns am Ende droht? Krieg natürlich, schreibt der Autor. Und so kann man sich als Konsument beherzt ein Schnitzel in die Pfanne hauen, mal kurz zum Shoppen nach London fliegen und am Wochenende den neuen SUV aus der beheizten Garage holen. Ist doch sowieso schon egal!
Spätestens seit den Siebzigerjahren und der Veröffentlichung der Studie Die Grenzen des Wachstums durch den Club of Rome wissen wir, dass wir so nicht weitermachen können. In der Zwischenzeit sind unzählige Bücher erschienen, die uns in schwärzesten Farben die kommende Apokalypse vor Augen geführt haben, ohne unserem aggressiven und konsumtiven Lebensstil etwas anhaben zu können. Ganz im Gegenteil befindet sich unsere Gesellschaft noch immer in nahezu allen Bereichen auf Wachstumskurs.
Der Philosoph Hans Jonas hat in seinem Buch Das Prinzip Verantwortung den Begriff der »Heuristik der Furcht« geprägt. Er schreibt: »Erst die Verzerrung des Menschen verhilft uns zu dem davor zu bewahrenden Begriff des Menschen. Wir wissen erst, was auf dem Spiele steht, wenn wir wissen, daß es auf dem Spiele steht.« Das war ein gut gemeinter Versuch, die zerstörerischen Folgen unseres Handelns in die Gegenwart zu holen. Diesen Versuch muss man wohl als gescheitert betrachten, da die Menschen sich offensichtlich nicht von einer Verzerrung ihrer Menschlichkeit beeindrucken lassen wollen, die möglicherweise noch weit in der Zukunft liegt. Dass unsere Menschlichkeit und unser Menschenbild schon heute jeden Tag buchstäblich Schiffbruch erleiden, sei dabei nur am Rande erwähnt.
Es fehlt eine konkrete Utopie, wie es in Zukunft weitergehen könnte
So kann man nur versuchen, andere Wege zu gehen. Der Autor und Sozialpsychologe Harald Welzer hat es mit seinem letzten Buch Alles könnte anders sein vorgemacht. Anstatt die Menschen zum wiederholten Male zu frustrieren, indem man ihnen die Orgie unserer Naturzerstörung vor die Nase hält, versucht er konstruktive Wege aufzuzeigen, um die ökologische Krise vielleicht noch in den Griff zu bekommen.
Einer der wertvollsten Gedanken dabei ist die Erkenntnis der schlichten, aber häufig übersehenen Tatsache, dass sich begangene Fehler auch wiedergutmachen lassen. Welzer zeigt das am Beispiel der Renaturierung der Havel. Es gäbe noch unzählige andere positive Beispiele dieser Art, von denen wir oftmals keine Notiz nehmen. Ein Baum, der fällt macht eben mehr Krach, als ein Wald, der wächst.
Obwohl man vieles, ja vielleicht das meiste in diesem Buch unterstreichen kann, bleibt am Ende doch die Erkenntnis, dass es so nicht geht. Was fehlt ist das Aufzeigen von Lösungswegen, das Entwickeln einer konkreten Utopie, wie es hier und in Zukunft weitergehen könnte. So bleibt nur das schale Gefühl, dass dieses Buch vielleicht von vielen gelesen werden wird, um anschließend ihr bisheriges Leben unverändert weiterzuführen – nur noch ein wenig mutloser als zuvor.
Wolf Schneider: Denkt endlich an die Enkel. Eine letzte Warnung, bevor alles zu spät ist. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 76 Seiten, 8 Euro