Der Umweltaktivist, Autor und Journalist Bill McKibben ist kein Unbekannter. Als Gründer der Klimaschutzorganisation 350.org und Träger des Alternativen Nobelpreises, der gerade der schwedischen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg verliehen wurde, gilt er als einer der Protagonisten der internationalen Ökologiebewegung. Bereits vor dreißig Jahren veröffentlichte er sein in zwanzig Sprachen übersetztes Buch Das Ende der Natur, in dem er sich als einer der ersten intensiv mit dem Themenkomplex Klimawandel auseinandersetzte. Damals sprach man allerdings noch vom sogenannten »Treibhauseffekt«. Er schrieb dort unter anderem, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten der Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre um mehr als zehn Prozent gestiegen sei. Im Jahr 1989 waren das 350 ppm (parts per million). Heute, nur dreißig Jahre später, beträgt der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre bereits 400 ppm, mit steigender Tendenz. Schon an dieser Zahl lässt sich erkennen, mit welcher Geschwindigkeit der Klimawandel voranschreitet.
Bill McKibben zeigt die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik
Sein aktuelles Buch beginnt mit der detailreichen Beschreibung ökologischer Katastrophen, wie Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände, Versauerung der Meere, Luftverschmutzung und anderes mehr. Was McKibbens Buch aber von vielen anderen Veröffentlichungen in diesem Bereich unterscheidet, ist die wohltuende Tatsache, dass er nicht bei der bloßen Beschreibung der ökologischen Katastrophe stehenbleibt, sondern sich schnell der Analyse der Ursachen widmet.
So legt er die vielfältigen Verflechtungen von amerikanischer Politik und Wirtschaft offen, insbesondere die engen Verbindungen zur Mineralölindustrie. Der Geschäftsführer von ExxonMobile, Rex Wayne Tillerson, der von Februar 2017 bis zum März 2018 Außenminister im Kabinett Trump war, steht hier nur stellvertretend für viele andere. Außerdem beschreibt McKibben detailliert, wie die Manager von Exxon wider besseres Wissen jahrzehntelang versucht haben, die Folgen des CO2-Ausstoßes zu verharmlosen, obwohl sie, genauso wie die Verantwortlichen bei Shell, bereits Ende der Siebzigerjahre über den Treibhauseffekt informiert waren. So sind der Menschheit wertvolle Jahre verlorengegangen, denn diese gezielte Desinformationskampagne hat uns, so der Autor, »jene Menschengeneration gekostet, die den entscheidenden Unterschied im Klimakampf hätte ausmachen können.«
Die Philosophin Ayn Rand als Ideengeberin der neoliberalen Ideologie
Der interessanteste Teil des Buches ist aber zweifellos die Auseinandersetzung mit den philosophischen Hintergründen der neoliberalen Ideologie. Hier hat sich McKibben sehr intensiv mit der Schriftstellerin und Philosophin Ayn Rand (1905-1982) beschäftigt. Ihre beiden Bücher The Fountainhead (Der ewige Quell) von 1943 und Atlas Shrugged (Atlas wirft die Welt ab) aus dem Jahr 1957 avancierten im Laufe der Jahre zu den Lieblingsbüchern vieler Politiker und Konzernchefs. Rand legt hier ihre inhumane Philosophie dar, die nur das Individuum gelten lässt. Staatliche Institutionen, Empathie, Solidarität und Gemeinschaft gelten diesem Denken als das Böse schlechthin. Wer sich fragt, warum die von Obama begonnene Gesundheitsreform »Obamacare« bei den Republikanern, aber auch in weiten Teilen der Bevölkerung so verhasst ist, der findet in Rands Philosophie die Antwort.
Als die damalige englische Premierministerin Margaret Thatcher 1987 in einem Interview verkündete: »So etwas wie ›die Gesellschaft‹ gibt es nicht. Es gibt nur einzelne Männer und Frauen und es gibt Familien«, zeigten auch diese Sätze das bittere Erbe Ayn Rands. Die Folgen dieser rücksichtslosen Politik sozialdarwinistischer Prägung, lassen sich bis heute in vielen Ländern der Welt begutachten: Schwächung staatlicher Institutionen, Entmachtung der Gewerkschaften, Kürzung von Sozialtransfers und vieles andere mehr. Dass auch Donald Trump, den McKibben unverblümt und zu Recht als Rassisten bezeichnet, Der ewige Quell zu seinen Lieblingsbüchern zählt, verwundert da nur noch wenig. Eher staunt man darüber, dass er es tatsächlich gelesen haben soll. »Aber dieser Sieg«, da ist sich der Autor sicher, »wird wohl nicht ewig halten. Nur wenige Siege tun das, und dieser ist besonders brüchig, weil er auf einer grundlegend fehlerhaften Annahme über die Menschen beruht: die Vorstellung, dass wir nur Individuen sind, dass es ›keine Gesellschaft gibt‹, dass wir einander nichts schulden. Nichts davon passt zu unserer grundlegendsten Natur.«
Künstliche Intelligenz und Gentechnik als Bedrohung der Humanität
Neben der drohenden ökologischen Katastrophe untersucht McKibben noch zwei weitere Bereiche, die in der Lage wären, »das Spiel der Menschheit« zu beenden oder weitestgehend sinnlos zumachen: »Künstliche Intelligenz« und Gentechnik. Hier beschäftigt er sich in erster Linie mit CRISPR, einer Methode, die es erlaubt, sehr exakt in die menschliche DNA einzugreifen. In diesem Zusammenhang weist er vehement auf die Gefahren hin, die drohen, wenn wir gentechnische Veränderungen an der Keimbahn des Menschen zulassen. Solche Modifikationen würden an die nächsten Generationen vererbt werden, mit allen damit verbundenen Risiken. McKibben erkennt auch, dass die gentechnische Veränderung des Menschen neue soziale Ungleichheiten erzeugen würde. Denn natürlich wird es immer Menschen geben, die über die finanziellen Mittel verfügen, solche Eingriffe bei ihren Kindern vornehmen zu lassen, während andere das nicht können oder wollen. »Wenn wir bessere Menschen erschaffen wollen«, so sein Fazit, »sollten wir damit beginnen, ihre Wohnviertel und Schulen umzubauen, nicht ihre Gene.«
Auch die Protagonisten der KI und die sogenannten Transhumanisten sieht McKibben äußerst kritisch. Im Grunde genommen beschreibt er sie als ein Haufen Verrückter, die vom ewigen Leben träumen, und davon, den Inhalt ihres Gehirns eines Tages auf einer Festplatte speichern zu können. Ein nicht geringer Teil dieser Community würde, so McKibben, täglich spezielle Medikamente zu sich nehmen, um den Alterungsprozess aufzuhalten, in der Hoffnung, die Technik könnte in der Zwischenzeit so weit fortschreiten, ihnen das ewige Leben zu bescheren. Da wundert man sich auch nicht mehr über Peter Thiel, Milliardär und Trump-Anhänger, der sich angeblich das Blut junger Menschen transfundiert, um so lange wie möglich jung zu bleiben. Wenn der Tod eine Berechtigung hat, dann wohl diese, die Tätigkeit dieser offensichtlich tief gestörten Menschen eines Tages zu beenden. Doch letztlich wird der Tod, auf die eine oder die andere Art, alle Versuche vereiteln, ihn aus der Welt zu vertreiben. Und das ist auch gut so, denn »eine Welt ohne Tod ist eine Welt ohne Zeit, und das wiederum ist eine Welt ohne Bedeutung, zumindest ohne menschliche Bedeutung, Wenn man diesen Weg weit genug geht, ist das Spiel vorbei.«
Was bei der Beschreibung der Gentechnik und KI auffällt, bei McKibben aber nicht explizit erläutert wird, ist das reduktionistische Weltbild, das diesen Forschungsbereichen zugrunde liegt. Beide gehen davon aus, dass der Mensch nichts anderes ist als eine komplexe Maschine, die man nach Belieben umbauen kann. In dieser Weltsicht steckt nicht nur eine ganze Menge Hybris und Dummheit, sondern vor allem auch eine große Portion Selbsthass. Wir alle sollten uns an dieser Stelle fragen, ob wir in einer derartig reduzierten Welt leben wollen. Einige Entwicklungen der letzten Zeit deuten eher darauf hin, dass wir das offensichtlich nicht wollen; und so bleibt zu hoffen, dass es uns gelingt, diesem Weltbild etwas Menschlicheres entgegenzusetzen und den seelen- und gewissenlosen Auswüchsen dieser Wissenschaften endlich ein Ende zu bereiten.
Dabei ist McKibben alles andere als ein Gegner von Wissenschaft und Technik. Er ist lediglich der Meinung, dass wir nicht alles tun dürfen was wir können und glaubt, dass »wir eine Möglichkeit finden, wie Menschen gesund, sicher und produktiv – und vor allem menschlich – bleiben können, wenn wir uns von den verrücktesten Grenzen der Technologie fernhalten.«
Sonnenenergie und gewaltfreier Widerstand
So widmet sich McKibben zuletzt den Möglichkeiten, den beschriebenen Gefahren zu entkommen und nennt zwei zentrale Auswege: Solarenergie und Gewaltfreiheit. Hier favorisiert er in erster Linie die dezentrale Erzeugung von Energie und zeigt die überwiegend positiven Wirkungen der schrittweisen Elektrifizierung afrikanischer Dörfer durch Solarmodule. Im Gegensatz zu den fossilen Energien könnte Solarstrom, so McKibben, »eine Reperaturtechnologie sein, in sozialer wie ökologischer Hinsicht. Er kann zur Heilung der Atmosphäre beitragen und gleichzeitig die riesige Ungleichheit verringern, die sich aus der Kontrolle über Öl- und Gasvorkommen ergibt.«
Daneben plädiert er für gewaltlosen Widerstand und nennt hier, neben Wegbereitern wie Thoreau und Gandhi, natürlich Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung und nicht zuletzt seine eigene Organisation 350.org. Diese und viele andere Bewegungen sind sozusagen der Gegenentwurf der Randschen Philosophie. »Sie basieren auf genau dem, was uns Menschen ausmacht: Kreativität, Witz, Leidenschaft, Geist.« Und, möchte man hinzufügen, Solidarität und Gemeinschaftsgefühl. In diesem Zusammenhang verwundert es allerdings, dass McKibben nicht auf die weltweit agierende soziale Bewegung Extinction Rebellion eingeht, die mit den Methoden des zivilen Ungehorsams auf den drohenden Klimakollaps und das massive Artensterben aufmerksam macht.
Bill McKibben ist nicht sehr optimistisch was die Frage anbelangt, ob es der Menschheit gelingt, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Seine Hoffnung beruht letztlich auf der schlichten, aber bedeutsamen Tatsache, dass wir die »einzigen Wesen sind, die sich dafür entscheiden können, etwas nicht zu tun, wozu wir fähig sind.«
Mit Die taumelnde Welt hat der Blessing Verlag zweifellos eines der wichtigsten Bücher des Jahres veröffentlicht. Es ist hervorragend geschrieben, glänzend recherchiert und besticht durch gründliche Analysen unserer gegenwärtigen Situation.
Bill McKibben: Die taumelnde Welt. Wofür wir im 21. Jahrhundert kämpfen müssen. Aus dem Amerikanischen von Sigrid Schmid. Blessing Verlag, München 2019. 394 Seiten, 22 Euro