Kein Zweifel, Globalisierung und Religion sind das Movens der Moderne. Beide sind unauflöslich ineinander verstrickt und bedingen sich gegenseitig, sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. In seinem aktuellen Buch Zusammen Wachsen zeigt Miroslav Volf diese enge Verflochtenheit und will verständlich machen, wie Globalisierung und Religion zusammenhängen und „welche Beziehung sie in Zukunft zueinander haben sollten.“

Daneben geht es dem Autor auch darum, die Grundlagen zu erarbeiten, die für eine Verständigung zwischen den Weltreligionen gegeben sein müssen. Der 1956 in Kroatien geborene Autor hatte bereits Anfang der Neunzigerjahre, aufgrund seiner Erfahrungen im jugoslawischen Bürgerkrieg, eine Theologie der Versöhnung entwickelt. Im Jahr 1996 erschien sein Buch Exclusion and Embrace. A Theological Exploration of Identity, Otherness, and Reconciliation, das erst 2012 unter dem Titel Von der Ausgrenzung zur Umarmung. Versöhnendes Handeln als Ausdruck christlicher Identität auf Deutsch erschien. Gerade in Anbetracht der vielen religiös motivierten kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit, kann man jeden Versuch, die Verständigung zwischen den Religionen zu fördern, nur begrüßen.

So spricht er sich vehement dafür aus, andere Religionen zu respektieren, auch wenn man nicht mit ihren Inhalten konformgeht. Eine Religion zu respektieren bedeutet für Volf „sie als etwas anzusehen, das einer aufrichtigen und verantwortlichen kritischen Beurteilung wert ist, egal, ob diese Beurteilung dann positiv oder negativ ausfällt.“ Trotzdem wendet er sich gegen eine Kriminalisierung der Blasphemie, macht aber gleichzeitig deutlich, dass sie den „sozialen Zusammenhalt in pluralistischen Gesellschaften“ schädigt und unsere Möglichkeiten untergräbt, „sinnstiftende öffentliche Debatten über das Gemeinwohl zu führen.“ 

Ein weiterer, wesentlicher Vorschlag, um Religionen mit Religionen wie auch Religionen mit dem Säkularismus zu versöhnen ist, die Taten von den Personen zu trennen. Das ist natürlich eine hohe moralische Forderung und setzt voraus, dass die betreffende Person ebenfalls dazu in der Lage ist. Das heißt für den Fall, dass ich bestimmte Taten nicht toleriere, vielleicht sogar bekämpfe, muss auch derjenige, der die Tat begangen hat seinerseits in der Lage sein zu unterscheiden zwischen der Kritik an seiner Tat und ihm als Person. Er müsste also seine eigenen Handlungen von seiner Person trennen. Das wird in der Praxis nur schwer durchzuhalten sein.

Miroslav Volf - Zusammen Wachsen. Rezension von Eckart Löhr
(Foto: Gütersloher Verlagshaus)

Ein hohes Gut stellt für Volf die Religionsfreiheit dar, die seiner Ansicht nach von allen Religionen ermöglicht wird, denn „die Freiheit, eine Religion anzunehmen und an ihr festzuhalten, ist ein grundlegender Bestandteil der Lebensform einer Religion, ohne den diese Lebensweise grundsätzlich kompromittiert ist. Für die Weltreligionen ist Religionsfreiheit von zentralem und substanziellem Wert.“ Hier zielt er vor allem auf die monotheistischen Religionen ab, die in dieser Hinsicht nicht sehr tolerant sind.

Religion als Privatangelegenheit?

Noch vor Kurzem hat der Dalai Lama angeregt, Religion als Privatangelegenheit zu betrachten. Das weltliche und geistige Oberhaupt der Tibeter schlägt vor, eine allgemeine und säkulare Ethik zu erarbeiten, die ohne den Rückgriff auf Religion auskommt. Hier würde ihm Volf klar widersprechen. Für ihn sind Religionen immer auch eine „Vision des guten Lebens“, die man aufgeben würde, wenn man sie nur noch als Privatangelegenheit betrachtete. Auf der anderen Seite erkennt er aber auch die Gefahr, die von einer Religion ausgeht, sobald sie politisch wird. So seien die Weltreligionen „entweder persönlich, aber öffentlich irrelevant, oder öffentlich bedeutsam, aber politisch autoritär.“ Neben diesen beiden schlechten Alternativen sieht Volf nur die Möglichkeit, den sozialen und politischen Pluralismus zu akzeptieren und zu versuchen, darin als Religion eine öffentliche Rolle zu spielen.

Interessanterweise sieht er als positives Beispiel für eine solche Haltung die amerikanische Christliche Rechte. Er zeigt, dass sie trotz ihres exklusivistischen Charakters die liberale Demokratie stützt und pluralistische Werte verteidigt. Diese Werte seien für die Christliche Rechte, so ist Volf überzeugt, „nicht nur rhetorische Strategien, die man aufgeben kann, wenn sich die Situation verändert.“ Das mag man glauben oder auch nicht. Darüber hinaus hätten die Religionen in einigen Fällen sogar die Demokratie gebracht und er nennt hier Chile, Indonesien, die Philippinen und Polen. Man könnte noch hinzufügen, dass die Leipziger Montagsdemonstrationen im Herbst 1989, die zum Fall der Berliner Mauer führten, nicht zuletzt von der Nikolaikirche ausgingen. Volf geht aber noch weiter und ist der Meinung, dass die religiösen Exklusivisten sogar eine Bereicherung für die Globalisierung seien, da sie unveränderbare Überzeugungen hätten. „Sie regen ein Nachdenken darüber an, was das Leben lebenswert macht.“ In diesem Punkt kann man ihm gerne folgen.

Zähmung der außer Kontrolle geratenen Globalisierung

Vor allem traut Volf den Religionen zu, die „außer Kontrolle geratene“ Globalisierung zu zähmen. Dass die Globalisierung neben vielen anderen negativen Begleiterscheinungen auch zur Einebnung der kulturellen Unterschiede beiträgt, mehr noch, ganze Kulturen zerstört und Menschen kulturell und sozial entwurzelt, kann kaum bestritten werden. So hätten die Religionen auch die Aufgabe zu verhindern, dass die „Globalisierung die Traditionen zersetzt, das Gefühl für das Heilige untergräbt und den Weg zu einem sanften Relativismus bereitet.“ Nicht zuletzt, und hier liegt der evangelische Theologe und Trump-Kritiker Volf absolut richtig, seien die Weltreligionen „die bedeutendsten Quellen für Visionen vom menschlichen Wachsen und Gedeihen, weil sie nicht die materiellen Güter und den Konsum in den Vordergrund stellen und in ihnen Solidarität eine entscheidende Rolle spielt.“

Das ganze Buch ist somit der anspruchsvolle Versuch, die Grundlagen zu erarbeiten, auf denen sowohl die großen Weltreligionen friedlich zusammen leben können als auch das Bemühen, zu zeigen, dass die marktgesteuerte Globalisierung und eine von Religionen gestaltete Globalisierung kein Widerspruch sein muss. Denn „die Globalisierung hat nicht die Mittel, den Hunger zu stillen, den die Weltreligionen zu stillen vermögen.“ Auch wenn Volfs Analysen und Vorschläge in weiten Teilen überzeugen, setzen sie doch ein höchst aufgeklärtes politisches und religiöses Subjekt voraus. Ein Blick auf die derzeitige weltweite Situation im Hinblick auf Globalisierung und Religion lässt daran zweifeln, ob es genügend rationale Akteure gibt, die in der Lage und willens sind, seine Vorschläge, zumindest in Teilen, in die Tat umzusetzen. Da der Kern aller Religionen aber der gleiche ist, nämlich die Liebe zu Gott und dem Nächsten sowie die Überwindung des Leidens und die Achtung vor allem Lebendigen, gibt es keinen Grund zur Hoffnungslosigkeit. 

Miroslav Volf: Zusammen Wachsen. Globalisierung braucht Religion. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017. 331 Seiten, 24,99 Euro

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Eckart Löhr ist Gründer von re-visionen.net und verantwortlicher Redakteur. Seine thematischen Schwerpunkte liegen im Bereich Umweltethik, Ökologie und Gesellschaft.

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