Rupert Sheldrake gilt als das enfant terrible der Biologie. Er selbst hat in einem Interview einmal folgende humorvolle Geschichte erzählt: Einer seiner Freunde, ein Molekularbiologe, der für seine Forschungen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, hielt eine Rede über sein Spezialgebiet. Er erläuterte seine Ergebnisse anhand immer komplizierter werdender Graphiken und gab anschließend dem Publikum die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Nach längerer Stille meldete sich eine Frau zu Wort. Dann wieder peinliche Stille. Um seinem Freund in dieser Situation ein wenig zu helfen, meldete sich schließlich Rupert Sheldrake, um ebenfalls eine Frage an den Redner zu richten. Im Anschluss sagte der Vortragende, da es keine weiteren Wortmeldungen mehr gab: „Ich befürchte, dass niemand mehr eine Frage hat. Die erste kam übrigens von meiner Frau und die zweite vom Antichristen“. Das dürfte Sheldrakes Stellung innerhalb der scientific community hinreichend charakterisieren.

In Indien und Sri Lanka kommt Rupert Sheldrake in Kontakt mit den östlichen Religionen

In seinem aktuellen Buch, das wohl sein bislang persönlichstes ist, zeigt der 1942 geborene Biologe und Autor anhand verschiedener spiritueller Praktiken, dass „es von enormer Bedeutung ist, wieder ein Gespür für die Verbindung mit der mehr-als-menschlichen Welt zu bekommen, das uns zugleich auf spiritueller Ebene bereichert.“ Somit geht er noch einen Schritt über seine bisherigen Publikationen hinaus, in denen er vor allem seine Theorie der morphogenetischen Felder populär gemacht und unermüdlich gegen die ausschließlich materialistisch-reduktionistische Sicht der Welt durch die Wissenschaften gekämpft hat.

Rupert Sheldrake - Die Wiederentdeckung der Spiritualität. Rezension von Eckart Löhr
(Foto: O. W. Barth Verlag)

Anfangs berichtet er von seiner eigenen spirituellen Entwicklung. Denn am Beginn seines Studiums war er noch Atheist, las Freud und Marx und wollte Biologe werden, weil er Tiere liebte, musste aber schnell feststellen, dass er im Rahmen seines Studiums dazu gezwungen war, Lebewesen zu töten, um sie zu untersuchen. Er begriff, dass das, was er da untersuchte, nur noch tote Teile waren, aber kein ganzheitlicher Organismus mehr. Über das Leben selbst, seine Entstehung und Entwicklung, ließ sich auf diese Weise nur wenig herausfinden. Aus diesem Grund wandte er sich der Pflanzenforschung zu, die ihn nach Indien und Sri Lanka führte und lernte dort eine andere Sicht auf die Welt kennen. Über die hinduistische Philosophie gelangte er auf Umwegen wieder zu der Religion, die ihn von Kindheit an (seine Eltern waren Methodisten) geprägt hatte: dem Christentum. Hier kam er über den britischen Benediktinermönch Bede Griffiths in Kontakt mit christlicher Mystik, beschäftigte sich aber auch weiterhin intensiv mit den religiösen Traditionen des Ostens.

Heute bezeichnet sich Rupert Sheldrake als Panentheisten. Ein Begriff der durch den deutschen Philosophen Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832) geprägt wurde. Denn für Sheldrake ist „Gott (…) kein Ingenieur, der eine für sich bestehende mechanische Welt erschaffen hat, wie es einige mechanistisch denkende Theologen vertreten haben. Gott ist in der Natur, in jedem Teil von ihr, so wie die Natur in Gott ist und an Gottes Sein und Bewusstsein teilhat.“

Die von ihm dargestellten Praktiken wie transzendentale Meditation, Gesang, Pilgerreisen, Dankbarkeitsrituale und anderes mehr, bilden den Hintergrund vor dem Sheldrake seine Weltsicht darlegt. So hat jede der sieben spirituellen Praktiken einen Essay vorangestellt, der den Leser mit der spezifischen Thematik vertraut macht. Und hier erfährt man viel Interessantes über Meditation, Philosophie und Religion, während die Übungen selbst am Ende jedes Kapitels nur relativ kurz beschrieben werden. Daneben geht es Sheldrake darum zu zeigen, dass die vorgestellten Übungen, neben der spirituellen Komponente, auch zum psychischen und physischen Wohlbefinden des Betreffenden beitragen. Wobei dieser Teil des Buches gelegentlich ein wenig aufgesetzt wirkt. Das spürt wohl auch der Autor, wenn er fragt, “geht es bei der Meditation nur um Gesundheit und Fitness, darum, tauglicher in der Erreichung weltlicher Ziele zu werden? (…) Oder geht es darum, mit einer höheren, mehr-als-menschlichen Dimension des Bewusstseins in Verbindung zu treten?“ Diese Frage muss sich wohl jeder selbst beantworten.

Für Sheldrake ist das Universum ein lebendiger, über Bewusstsein verfügender Organismus

Neben der Darstellung der spirituellen Praktiken, die uns mit der „mehr-als-menschlichen Welt“ verbinden sollen, ist es, wie auch in seinen anderen Publikationen, ein Hauptanliegen des wissenschaftlichen Querdenkers, der Leserin einen anderen Blick auf die Welt zu eröffnen. Für ihn ist das Universum keine komplexe Maschine, wie es in der Regel die Wissenschaften behaupten, sondern vielmehr ein lebendiger, über Bewusstsein verfügender Organismus. Und so „muss es auf allen Ebenen mit Geist begabte sich selbst organisierende Systeme geben, einschließlich der Erde, des Sonnensystems und der Galaxis – und letztendlich des gesamten Kosmos.“

Nimmt man diese Idee ernst, kommt man zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass nicht nur der Mensch über Bewusstsein verfügt, sondern Bewusstsein bereits in allen Bereichen der Natur existiert. Demnach muss, so Sheldrake, Bewusstsein bereits auf atomarer Ebene vorhanden sein, aber auch die Sonne über eine wie auch immer geartete Form von Bewusstsein verfügen. Mit dieser animistischen Auffassung der Natur steht der Autor nicht allein und befindet sich noch dazu in keiner schlechten Gesellschaft. Nicht wenige Philosophen, wie beispielsweise Galen Strawson und Thomas Nagel, vertreten eine panpsychistische Weltsicht, wenn sie auch sehr wahrscheinlich nicht behaupten würden, die Sonne wäre ein bewusstes Wesen. Aber auch der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker war der Meinung, „dass die Materie, welche wir nur noch als dasjenige definieren können, was den Gesetzen der Physik genügt, vielleicht der Geist ist, insofern er sich der Objektivierung fügt.“ Innerhalb der Wissenschaftsgemeinde ist dieser philosophische Ansatz allerdings sehr umstritten, um nicht zu sagen verpönt. Die Wissenschaft versucht die Entstehung des Lebens, wie auch des Bewusstseins, mittels Emergenz zu erklären. Ein Begriff, der die wirkliche Problematik allerdings nur verschleiert, anstatt eine überzeugende Erklärung zu liefern. So ist für Sheldrake „der philosophische Materialismus […] nicht die Wahrheit, sondern eine Weltanschauung, ein Glaubenssystem.“ 

So gibt dieses Buch einen guten Einblick in die Weltanschauung Rupert Sheldrakes – und natürlich fehlt auch eine Darstellung seiner Theorie der morphogenetischen Felder nicht. Darüber hinaus sind die von ihm vorgestellten spirituellen Übungen inspirierend und unabhängig von jeglicher Religionszugehörigkeit praktizierbar. Im besten Fall bringen sie den, der sie ausübt, zu einem neuen Verhältnis zu sich selbst wie auch zur Natur und dem, was jenseits davon liegt. Das allein wäre schon ein großer Erfolg. Nicht weniger wichtig ist aber, dass es Sheldrake gelingt, uns einen anderen Blick auf das Leben, den Menschen und die Welt zu eröffnen. Und dieser Blick ist ein tieferer, humanerer und hoffnungsvollerer, als nur der kühle und sachliche Blick der traditionellen Wissenschaften, der uns zwar viele Tatsachen erschließt, aber dem Menschen spirituell nichts zu geben vermag.

Rupert Sheldrake: Die Wiederentdeckung der Spiritualität. 7 Praktiken im Fokus der Wissenschaft. O.W. Barth Verlag 2018. 288 Seiten, 19,99 Euro

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Eckart Löhr ist Gründer von re-visionen.net und verantwortlicher Redakteur. Seine thematischen Schwerpunkte liegen im Bereich Umweltethik, Ökologie und Gesellschaft.

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