Es ist schwer zu sagen, wann genau unsere totale Entfremdung von der Natur begonnen hat und damit auch die Unfähigkeit oder der Unwille, Tiere als bewusste Lebewesen mit Gefühlen und Wünschen wahrzunehmen, die unseren oft sehr ähnlich sind. Spätestens mit dem französischen Philosophen René Descartes (1696-1650) und seiner Behauptung, Tiere wären nichts anderes als Maschinen, haben wir angefangen, Tiere nur noch als bloße Objekte zu sehen. Wir glauben, sie nach Belieben manipulieren, für wissenschaftliche Versuche missbrauchen oder – Stichwort Massentierhaltung – zur Befriedigung unserer Bedürfnisse ausbeuten zu können.

Doch unsere Vorstellung vom Fühlen, Denken und Handeln der Tiere, wie auch von der Art ihrer Kommunikation, scheint gerade einen grundlegenden Wandel zu erfahren. Darauf deuten nicht zuletzt einige Neuerscheinungen der letzten Zeit hin: Frans de Waal mit „Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote“, Peter Wohlleben und Das Seelenleben der Tiere oder auch Tiere denken des Philosophen Richard David Precht. Sie alle haben deutlich gemacht, dass die Tiere nicht so weit von uns entfernt sind, wie viele das vielleicht gerne hätten.

In dieser Reihe steht auch der Meeresbiologe und Naturschriftsteller Carl Safina, der in seinem aktuellen Buch nicht wirklich Neues sagt, aber er sagt es auf eine sehr lesenswerte, eindringliche, anschauliche, anrührende und nicht zuletzt radikale Art. Dabei konzentriert er sich auf drei Tierarten, die er auch aus eigener Anschauung gut kennt: Elefanten, Wölfe und Wale. Von diesen drei so unterschiedlichen Spezies erzählt der Autor eine Vielzahl von Geschichten, die zum Teil so unglaublich sind, dass auch Safina nicht weiß, wie er sie interpretieren soll. Zum Beispiel die ans Telepathische grenzende Kommunikation der Orkas, die Beobachtung, dass Elefanten auch um Menschen trauern und die Tatsache, dass Wölfe sich an ihren Verfolgern rächen – um nur einige zu nennen.

Warum wirkt der Gedanke, dass Tiere denken und fühlen können, so bedrohlich für das menschliche Ego?
Carl Safina - Die Intelligenz der Tiere. Rezension von Eckart Löhr
(Foto: C. H. Beck Verlag)

Der englische Originaltitel des Buches lautet Beyond Words und so zeigt uns der Autor vor allem, dass Tiere zwar „jenseits der Wörter“ kommunizieren, was aber nicht heißt, dass sie keine eigene Sprache hätten. Er bemängelt, dass wir uns ein halbes Jahrhundert lang auf die bloße Beschreibung tierischer Kommunikation beschränkt haben, während es ihm vor allem darum geht, deren Inhalte zu verstehen. Dabei kämpft Safina nicht zuletzt gegen hartnäckige Vorurteile vieler Wissenschaftler, die den Tieren zum Teil noch immer Bewusstsein, ein differenziertes Gefühlsleben und zielgerichtetes Verhalten absprechen und das alles als Anthropomorphismus abtun. „Warum“, fragt der Autor an dieser Stelle, „wirkt der Gedanke, dass andere Tiere denken und fühlen können, so bedrohlich für das menschliche Ego? Weil es schwieriger ist, andere zu misshandeln, wenn man ihnen ein Bewusstsein zugesteht?“ So plädiert Safina dafür, die Tiere nicht in Labors unter künstlichen Bedingungen zu „testen“, sondern sie in ihrer natürlichen Umwelt zu beobachten, wo sie sich frei und ihren Anlagen gemäß verhalten können

Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass der Wissenschaftler Safina selbst einigen wissenschaftlichen Theorien äußerst skeptisch gegenübersteht. Dazu gehört unter anderem der Spiegeltest, der anhand eines Farbfleckes, den man auf die Stirn des betreffenden Tieres gemalt hat, zeigen soll, ob ein Tier über Selbstbewusstsein verfügt oder nicht. Dieses Experiment hält der Autor für völlig ungeeignet, die Komplexität tierischen Denkens abzubilden oder tierisches Bewusstsein zu widerlegen bzw. zu beweisen. Auch dem Versuch von Seiten der Wissenschaft, den meisten Tieren eine sogenannte theory of mind abzusprechen, erteilt der Autor eine klare Absage. Für Safina verfügen alle Tiere über eine solche theory of mind, das heißt über die Fähigkeit zu wissen, dass ein anderes Lebewesen Gedanken hat, die sich von den eigenen Gedanken unterscheiden. Und auch hierzu liefert er eine Fülle von Beispielen. Tiere, so der Autor, „wissen wer sie sind“ und man muss „die Beweise schon vollkommen ignorieren, um zu dem Schluss zu kommen, dass Menschen die einzigen Wesen mit Bewusstsein und Gefühlen sind, die das Leben genießen und das gerne fortsetzen möchten.“

Dieses Buch hat das Potenzial, ein noch tieferes Bewusstsein für das Wesen der Tiere zu schaffen. Es ist somit ein weiterer und wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem besseren Verständnis tierischen Verhaltens, Fühlens und Denkens mit dem Ziel einer längst überfälligen Würdigung unserer lebendigen Mitwelt. „Sie waren als Erste hier; wir sind aus ihnen hervorgegangen. Sie sind nicht wie wir, doch sie leben ihr Leben in vollen Zügen und ihr Lebenslicht hat die Kraft, hell zu leuchten. Wir haben ihnen schon so viel geraubt und dadurch ihr Lebenslicht gedimmt. Dabei sind sie es, die diese Erde bunt und schön machen.“

Carl Safina: Die Intelligenz der Tiere. Wie Tiere fühlen und denken. Aus dem Englischen von Sigrid Schmid, Gabriele Würdinger, C. H. Beck, München 2017, 525 Seiten, 26,95 EUR

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Eckart Löhr ist Gründer von re-visionen.net und verantwortlicher Redakteur. Seine thematischen Schwerpunkte liegen im Bereich Umweltethik, Philosophie und Gesellschaft.

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