Temperaturen bis zu fünfzig Grad in Australien, Nordamerika und Sizilien, eine noch nie dagewesene Hitzewelle in Griechenland, das alles gepaart mit großflächigen Waldbränden, und auf der anderen Seite tagelange Starkregen mit Überschwemmungen im Westen Deutschlands und anderen Teilen der Welt. Der Klimawandel ist kein Problem der Zukunft, sondern bereits bittere Realität. Der aktuelle Bericht des IPCC dazu ist eindeutig. Die weltweite Veränderung des Klimas ist maßgeblich durch den Menschen verursacht, daran kann es keinen Zweifel mehr geben. Wer die anthropogenen Ursachen des Klimawandels noch immer infrage stellt, ist entweder dumm, ideologisch motiviert oder im schlimmsten Fall beides. Die globale Temperaturerhöhung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau liegt zurzeit bei 1,1 Grad und könnte bereits innerhalb der kommenden Dekade 1,5 Grad erreichen. Die Temperaturen bei 2 Grad zu begrenzen, wird kaum einzuhalten sein, denn nach wie vor sind die Industrienationen offensichtlich nicht gewillt, ihre CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren. Und da die Kohlenstoffemissionen der großen Schwellenländer wie Indien und China aufgrund des mit dem Wirtschaftswachstum einhergehenden Verbrennens fossiler Energieträger weiterhin deutlich steigen, tragen mittlerweile auch sie zur weltweiten Temperaturerhöhung bei. Was das für die künftige Lebensqualität auf diesem Planeten bedeutet, kann man nur erahnen.
Wir haben viele Jahrzehnte verloren
In Anbetracht der deprimierenden Zahlen und der jahrzehntelangen Untätigkeit der Verantwortlichen hat sich bei vielen Menschen bereits Resignation breitgemacht. Doch gerade jetzt wäre es umso wichtiger nicht aufzugeben, um das Schlimmste noch zu vermeiden. »Durch den mächtigen Einfluss von Lobbyisten und später durch Neoliberalismus [sic] haben wir viele Jahrzehnte verloren. Vielleicht hätten wir den Klimawandel damals sogar aufhalten können. Heute ist das nicht mehr möglich. Das ist die schlechte Nachricht – und du hast alles Recht, darüber wütend zu sein. Die gute Nachricht ist, dass wir heute immer noch sehr viel tun können, um den Klimawandel stark zu verlangsamen.« Das aber setzt voraus, dass wir nicht nur hier und da ein Schräubchen im großen Getriebe drehen, sondern bereit sind, alles zu ändern. Und genau darum geht es der amerikanischen Journalistin und politischen Aktivistin Naomi Klein: How to change everything.
Bekannt geworden ist Naomi Klein vor zwanzig Jahren mit ihrem Buch No Logo. Seitdem gab es weitere wegweisende Publikationen von ihr, allen voran Die Schockstrategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus (2007) und Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann (2019). Mit How to Change Everything hat Naomi Klein ein Buch geschrieben, das sich zwar vorwiegend an ein jüngeres Publikum wendet, was aber nicht heißt, dass nicht auch erwachsene LeserInnen von der Lektüre profitieren können. Die Autorin Rebecca Stefoff hat dafür gesorgt, dass der Text gut verständlich ist und aus diesem Grund auf Fremdwörter weitestgehend verzichtet.
Veränderungen im persönlichen Bereich werden nicht ausreichen
Naomi Klein setzt sich in How to Change Everything mit allen wichtigen Themen im Zusammenhang mit der Klimakrise auseinander. Sie beschreibt ihre Ursachen, erklärt was Kipppunkte und Rückkopplungsschleifen sind, erläutert die philosophischen Voraussetzungen unserer naturfeindlichen Zivilisation, zeigt den facettenreichen Kampf gegen den Klimawandel und widmet natürlich auch der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg ein Kapitel. In diesem Zusammenhang fordert sie die Jugendlichen auf, mit Veränderungen in ihrem täglichen Leben zu beginnen, sieht aber auch ganz klar, dass das allein nicht ausreichen wird, die Energieerzeugung, die Wirtschaft und die Produktion in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren. Das kann nur gelingen, indem die betreffenden »Regierungen, die Unternehmen, die Industrie – vor allem die Branchen, die die größten Mengen an Treibhausgasen erzeugen – grundlegende Änderungen durchsetzen.« Aber natürlich weiß auch Naomi Klein, dass die Verursacher der Klimakrise nicht freiwillig aufhören werden, im großen Maßstab fossile Energieträger zu verbrennen und zeigt deshalb an verschiedenen Beispielen, was für Möglichkeiten wir haben, die Regierungen und Unternehmen zu klimagerechtem Handeln zu zwingen. Dazu gehören in erster Linie Demonstrationen, Divestment – das heißt klimaschädlichen Industrien das Kapital zu entziehen – und Klagen vor Gericht. Das alles ist wichtig und ein wesentlicher Teil der Klimaschutzbewegung, hat bis jetzt aber leider noch nicht dazu geführt, die Politik der Regierungen oder das Handeln der Industrie nachhaltig zu ändern.
Der Journalist und Aktivist Andreas Malm schlägt in seinem im letzten Jahr erschienenen Buch Wie man eine Pipeline in die Luft jagt einen etwas raueren Ton an: »Verkündet und erzwingt selbst das Verbot! Beschädigt und zerstört neue CO2-emittierende Vorrichtungen! Setzt sie außer Betrieb, zerlegt, demoliert, verbrennt sie, jagt sie in die Luft! Lasst die Kapitalist*innen, die weiterhin ihr Geld ins Feuer werfen, wissen, dass ihr deren Eigentum in Schutt und Asche legen werdet!« Darüber ließe sich zumindest diskutieren. Und wenn wir so weitermachen wie bisher, und alles deutet darauf hin, werden die jungen KlimaschutzaktivistInnen früher oder später ganz von allein auf diese Idee kommen. Es liegt also an uns, an der Politik und dem Verhalten der Industrie, ob sich die junge Generation für Klein oder Malm entscheidet.
Der Neoliberalismus als Hauptursache der Naturzerstörung
Einer der zentralen Begriffe der Autorin ist Klimagerechtigkeit. »Denn schon heute sind viele Maßnahmen gegen den Klimawandel eindeutig ungerecht. Diejenigen, die am wenigsten zur Umweltverschmutzung beigetragen haben, leiden am meisten darunter. Und jene, die die Umwelt am meisten verschmutzt haben, nutzen ihren Reichtum, um sich vor den schlimmsten Auswirkungen ihres Handelns zu schützen.« So plädiert Klein unter anderem dafür, dass die reichen Staaten ihre Klimaschulden begleichen. Das heißt, sie müssen für die Schäden aufkommen, die sie in den betreffenden Ländern angerichtet haben. Denn allein »die USA sind gegenwärtig für ungefähr 15 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, obwohl dort nicht einmal 5 Prozent der Weltbevölkerung leben.«
Eine der Hauptursachen für die Zerstörungsorgie der letzten Jahrzehnte sieht Naomi Klein im neoliberalen Wirtschaftssystem, das in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts seinen Siegeszug über die Welt angetreten hat. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte der Staat viele Gesetze zum Schutz der Umwelt verabschiedet. »Diese Siege der Umweltschutzbewegung waren auch deswegen so wichtig, weil sie klarstellten, dass der Staat das Recht hat zu bestimmen, wie das gesamte Land mit der Umwelt umgeht. Solche Siege scheinen heute fast nicht mehr möglich, weil die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer im Zusammenschluss mit Politikern Front gegen jegliche staatliche Regulierung oder Kontrolle machen.« Hier spricht Klein einen wichtigen Punkt an. So muss es in den nächsten Jahren darum gehen, den Einfluss der Lobbyisten auf die Politik zu unterbinden, den Regierungen das Primat des Handelns zurückzugeben und die Wirtschaft aus Bereichen wie Energie, Gesundheit, Soziales, Bildung und Verkehr zu verbannen. Gerade die Energieversorgung muss dezentralisiert und nicht einigen wenigen Monopolisten überlassen werden.
Naomi Klein wendet sich gegen CCS und Geo-Engineering
Die Methode, Kohlendioxid per CCS-Verfahren im Boden zu speichern, beurteilt Naomi Klein kritisch, denn das »ändert nichts daran, dass wir aufhören müssen fossile Energieträger (Kohle, Gas, Öl) zu verbrennen. Die Errichtung weiterer CCS-Anlagen und die Speicherung von Kohlendioxid zerstört die Umwelt zum Beispiel durch die nötigen Bohrungen und verbraucht viel Energie.« Die mit der CO2-Sequestrierung verbundenen Probleme sind allerdings noch wesentlich größer als die Autorin sie hier beschreibt. Das reicht von der Versauerung der Böden, über gesundheitliche Risiken bei Austritt, bis hin zur Verseuchung des Grundwassers durch Schwermetalle. Die Liste ließe sich beliebig verlängern und es ist schade, dass die Autorin diese destruktive Methode nicht vehementer kritisiert. Immerhin setzt sie dieser Technologie eine geniale Erfindung der Natur entgegen, um Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu binden: Bäume! Das großflächige Pflanzen von Bäumen müsse allerdings schnell geschehen, bevor die Böden durch Dürre, Erosion und Überschwemmung nicht mehr dafür geeignet sind.
Den Versuchen, über massive Eingriffe in die Natur (Stichwort Geo-Engineering) den Klimawandel zu bremsen, erteilt Naomi Klein eine klare Absage und fordert uns auf, unser Konsumverhalten zu ändern, »bevor wir in den Lauf der Natur eingreifen und vielleicht nur eine neue Katastrophe in Gang setzen.« Insgesamt bleibt die Autorin aber auch hier sehr zurückhaltend, was die Beurteilung der fragwürdigen Methoden des Geo-Engineerings anbelangt. Geo-Engineering ist, neben all dem was der Mensch der Natur antut, lediglich eine weitere Steigerung des totalen Machbarkeitswahns und offenbart die bis zur Groteske gesteigerte menschliche Hybris, zu glauben, wir könnten die hochkomplexen Abläufe in der Natur durch unsere primitiven Eingriffe nach unserem Willen verändern.
Der Green New Deal
Am Ende plädiert Klein für einen Green New Deal. Das heißt, wir müssten darauf verzichten, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen und stattdessen alternative Energiequellen nutzen. Dazu würde auch ein ökologischer Umbau unserer Verkehrsnetze und die Umstellung der Produktion auf umweltschonende Rohstoffe gehören. Außerdem müssten die reichen Länder den ärmeren bei der Finanzierung entsprechender Technologien helfen. Green New Deal bedeutet bei Naomi Klein vor allem, »dass die Interessen der Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht die Interessen der Unternehmen.« Wir müssen, so Kleins Fazit, buchstäblich alles ändern: »Wie wir zusammenleben, wie wir essen, wie wir reisen, wie wir Geschäfte machen und wie wir unseren Lebensunterhalt verdienen. Gemeinsam können wir mehr erreichen, als nur den Anstieg der Temperaturen zu bremsen. Wir können die Erde schützen – und damit zugleich auch ärmere Länder und benachteiligte Völker und Menschengruppen.«
Auch wenn Naomi Klein an einer Stelle schreibt, dass es nicht ausreicht, nur die Energieerzeugung zu verändern, sondern wir uns auch bemühen müssen, weniger Energie zu verbrauchen, bleibt ihre Kritik an der Höhe unseres Konsumniveaus doch sehr verhalten. So ist in ihrem Buch viel von Technologie die Rede, aber zu wenig davon, dass wir weit über unsere Verhältnisse leben. Denn auch der beste Green New Deal wird nicht ausreichen, wenn wir weiterhin Jahr für Jahr unseren Energiedurst steigern. Einer der wenigen, der diese Tatsache in ihrer ganzen Radikalität erkannt hat, ist der deutsche Postwachstumsökonom Niko Paech.
Trotz dieser Kritik hat Naomi Klein mit How to Change Everything ein Buch geschrieben, das Mut macht, unser ökologisches Schicksal entschlossen selbst in die Hand zu nehmen und für eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten zu kämpfen. Möglichkeiten dazu gibt es zur Genüge und die Autorin hat viele davon beschrieben. So sind wir gut gerüstet, diesen Kampf zu führen und ihn hoffentlich am Ende zu gewinnen. Let´s change everything!
Naomi Klein/Rebecca Stefoff: How to Change Everything. Wie wir alles ändern können und die Zukunft retten. Hoffmann und Campe Verlag 2021, ISBN: 978-3-455-01251-4. Übersetzt von Gabriele Gockel und Barbara Steckhahn.