Sowohl von Seiten der Wissenschaften als auch von Seiten der Theologie wurde immer wieder der Versuch unternommen, den Gegensatz von Glauben und Wissen, bzw. Naturwissenschaft und Religion, zu überwinden. Karl Barth schrieb im Vorwort des dritten Bandes seiner kirchlichen Dogmatik: „Die Naturwissenschaft hat freien Raum jenseits dessen, was die Theologie als das Werk des Schöpfers zu beschreiben hat. Und die Theologie darf und muss sich da frei bewegen, wo eine Naturwissenschaft, die nur das und nicht heimlich eine heidnische Gnosis und Religionslehre ist, ihre gegebene Grenze hat.“ Diesem Diktum der strikten Trennung dieser beiden Bereiche will sich Volker Gerhardt nicht beugen und legt in seinem ausgezeichneten Essay Glauben und Wissen sehr überzeugend dar, dass diese sich auf den ersten Blick unversöhnlich gegenüberstehenden Disziplinen in Wahrheit aufeinander angewiesen sind.

Der 1944 geborene Philosoph weist anfangs darauf hin, dass Glauben und Wissen nicht immer so streng getrennt waren, wie das heute der Fall zu sein scheint. Das Alte Testament, so Gerhardt, stellte für die zeitgenössischen Leser neben den Glaubensgehalten immer auch vergegenwärtigtes Wissen dar. Erst mit zunehmender Ausdifferenzierung der einzelnen Wissensgebiete und spätestens mit der Entstehung des Christentums und seiner Individualisierung des Glaubens wäre der Glaube, so wie wir ihn heute verstehen, in die abendländische Welt gekommen. Gerhardt schreibt, dass allein dieses Beispiel uns lehren sollte, „Glauben und Wissen nicht wie feindliche Brüder anzusehen“, denn beide seien lediglich „Ausdruck eines Bemühens um ein mitteilbares Verständnis der Welt“.

Volker Gerhardt - Glauben und Wissen. Rezension von Eckart Löhr
(Foto: Reclam Verlag)

Wie aber hängen nun Wissen und Glauben in der Moderne zusammen? Um die beiden Bereiche sprachlich voneinander abzugrenzen unterscheidet Gerhardt sinnvollerweise religiösen und „epistemischen“ Glauben, wobei der epistemische Glauben eng mit den Wissenschaften verknüpft ist. Gerhardt zeigt, dass auch wissenschaftliche Erkenntnis nicht ohne Glauben auskommt, da der Wissenschaftler davon ausgehen muss, dass diese Welt auch morgen noch so aussieht und die gleichen Eigenschaften hat wie heute. Ohne diesen Glauben an Homogenität und Konstanz der Welt und des Universums im Ganzen wäre Wissenschaft im Grunde gar nicht möglich.

Wissenschaft ohne moralischen Anspruch ist heute kaum mehr zu denken

Darüber hinaus sei Wissenschaft ohne moralischen Anspruch heute kaum mehr zu denken, denn „ohne einen Glauben an die Humanität lässt sie sich weder in der gebührenden Offenheit betreiben noch guten Gewissens empfehlen.“ Es sind ja gerade die Wissenschaftlerinnen, Stichwort Klimawandel, die ihre Einsichten mit moralischen Appellen verknüpfen. Diese moralische Komponente könne ihrerseits aber nicht wieder wissenschaftlich begründet werden.

Dazu kommt, dass die Vermehrung des Wissens immer auch die Vermehrung des Nicht-Wissens nach sich zieht und eine Grenze nicht in Sicht ist. Um nicht den Boden unter den Füssen des sich stetig wandelnden Wissens zu verlieren, sei der Mensch auf den Glauben angewiesen, denn auch „das geballte Wissen aller Wissenschaften kann niemals ausreichen, um verlässlich zu handeln, in Sicherheit zu leben und in Ruhe zu sterben“.

Aber umgekehrt sei auch der Glaube ohne eine epistemische Basis gar nicht zu denken. Denn jeder Glaube kann sich überhaupt nur artikulieren, weil er bereits in ein historisch fundiertes, breit gefächertes Wissen eingebettet ist. „Und der Glauben, wie immer wir ihn verstehen, hat keinen Bezug zur Welt, wenn er nicht auf etwas beruht, das sich nach Art eines Wissens aufnehmen und ergänzen sowie korrigieren und kommunizieren lässt.“

Wissen und Glauben gehören notwendig zusammen

Der Glaube, so Gerhardt, könne im Gegensatz zu den Wissenschaften, deren Erkenntnisse immer partikular blieben „auf die Einheit der Wirklichkeit ausgreifen und sie glaubend als das alles umgreifende Ganze verstehen“. Er zeigt aber auch, dass Glaube und damit Religion nur bestehen kann, wenn er das Wissen nicht leugnet, sondern sich selbst auf Basis dieses Wissens weiterentwickelt, um gleichzeitig über die Grenzen dieses Wissens hinauszugehen.

Gerhardt gebührt das große Verdienst in diesem Buch sehr konzise und klar gezeigt zu haben, dass Wissen und Glauben nicht nur nicht voneinander zu trennen, sondern zutiefst aufeinander angewiesen sind. Dadurch schafft er eine sichere Basis auch für den religiösen Glauben, der zwar inhaltlich hinterfragt werden kann und muss, dem aber die grundsätzliche Daseinsberechtigung von Seiten der Wissenschaften nicht abgesprochen werden kann, ohne dass diese ihre Kompetenzen überschreitet. Den Wissenschaften wird dabei klar vor Augen geführt, dass sie ohne Glauben, nicht im religiösen, aber im pragmatischen, epistemischen Sinn, nicht auskommen. Daniel Dennett, Richard Dawkins und Andere würden an dieser Stelle wahrscheinlich heftig protestieren, hätten aber wohl große Probleme, Gerhardts Argumentation etwas Substanzielles entgegenzusetzen. „Wissen und Glauben gehören somit notwendig zusammen. Sie bedingen sich gegenseitig und haben beide, auch wenn das vielen Vertretern des Glaubens so wenig gefällt wie manchen Anwälten der Wissenschaft, ihren unverzichtbaren Anteil an der Vernunft.“

Am Ende seines kleinen aber feinen Buches schlägt Gerhardt eine Art Projekt Weltethos vor und ruft die Religionsgemeinschaften auf, sich in einer „weltumspannenden Organisation zusammenzufinden, um aktiv an der Wahrung einer Welt mitzuwirken, in der die Gläubigen geschützt und geachtet werden.“ In Anbetracht der weltweiten religiösen Verfolgungen und unzähliger religiös motivierter Kriege ist das eine der dringendsten Forderungen, die wohl leider in nächster Zeit keine Aussicht auf Erfolg haben wird.

Volker Gerhardt: Glauben und Wissen. Ein notwendiger Zusammenhang. Reclam Verlag, Stuttgart 2016. 80 Seiten, 6,00 Euro

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Eckart Löhr ist Gründer von re-visionen.net und verantwortlicher Redakteur. Seine thematischen Schwerpunkte liegen im Bereich Umweltethik, Ökologie und Gesellschaft.

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