David Christian ist studierter Historiker sowie Begründer und Hauptvertreter der sogenannten Big History. Sein Anliegen ist es, eine zusammenhängende Geschichtsschreibung zu verwirklichen, denn „um die Geschichte der Menschheit zu verstehen, müssen wir begreifen, wie sich eine so seltsame Art entwickelte, das heißt, wir müssen etwas über die Entwicklung des Lebens auf dem Planeten Erde erfahren, das heißt, wir müssen etwas über die Entwicklung des Planeten Erde erfahren, das heißt, wir müssen etwas über die Entwicklung von Sternen und Planeten erfahren, und das heißt letztlich, wir müssen etwas über die Entwicklung des Universums erfahren.“
In diesem Bemühen wird er von Bill Gates unterstützt, mit dem zusammen er das Big History Project ins Leben rief. Im Rahmen dieses Projektes soll versucht werden, eine einheitliche Geschichte des Kosmos, des Lebens und der Menschen zu erzählen und Studierenden in Amerika, Australien, und zukünftig wohl auch in anderen Ländern, gesamtgesellschaftliches Bewusstsein näherzubringen. Diese Geschichte vom Urknall bis zum Zeitalter des Menschen, und darüber hinaus, erzählt der Autor unter Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus den verschiedensten Bereichen. Von Physik und Biologie bis hin zu Geologie und Paläontologie. Hier soll also das ganz große Rad gedreht werden und so viel kann man schon verraten: Es ist für den 1946 in New York geborenen Autor definitiv zu groß!
Gerade der durchaus wünschenswerte transdisziplinäre Ansatz offenbart bereits eine Schwäche des Buches, die besonders in den ersten Kapiteln deutlich wird. Als Historiker verfügt Christian nicht über das Fachwissen, das erforderlich wäre, um die Entstehung des Kosmos, des Lebens und der ersten Menschen adäquat und vor allem differenziert zu beschreiben. So kann er wissenschaftliche Erkenntnisse lediglich referieren, ist aber nicht in der Lage, sie an einigen Stellen auch kritisch zu hinterfragen, so wie er es in seinem eigenen Fachbereich mit Sicherheit tun würde. Umgekehrt ließe sich auch sagen, dass der Autor – gerade als Geisteswissenschaftler – eine differenziertere Sicht auf die Naturwissenschaften haben sollte. Möglicherweise hätte er diese bei intensiverer Beschäftigung mit den entsprechenden Problemfeldern auch entwickelt. So aber bleibt er in einer oberflächlichen und sich nicht auf der Höhe der Zeit befindlichen Darstellung der entsprechenden Bereiche stecken.
So besteht für Christian der Hauptantrieb der Evolution in Zufall und Notwendigkeit, wobei der einzige Name, der in diesem Zusammenhang fällt, der Charles Darwins ist. Das ist umso erstaunlicher, da gerade Darwin nicht als Kronzeuge für diese schlichte und noch dazu unwissenschaftliche Sicht der Dinge taugt. In seiner Autobiographie Mein Leben schreibt Darwin von der „extremen Schwierigkeit oder eigentlich Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dieses gewaltige, wunderbare Universum einschließlich des Menschen mitsamt seiner Fähigkeit, weit zurück in die Vergangenheit und weit voraus in die Zukunft zu blicken, sei nur das Ergebnis blinden Zufalls oder blinder Notwendigkeit. Wenn ich darüber nachdenke, sehe ich mich gezwungen, auf eine erste Ursache zu zählen, die einen denkenden Geist hat, gewissermaßen dem menschlichen Verstand analog.“ Darüber hinaus findet sich in diesem Zusammenhang kein Wort zu den neuen Erkenntnissen im Bereich der Epigenetik oder zur Bedeutung der Kooperation bei der Entstehung und Ausbreitung des Lebens.
So leidet die gesamte Darstellung unter einem reduktionistisch und naturalistisch verengten Blick auf die Welt. Da ist es nur konsequent, dass für Christian das Gehirn lediglich ein komplizierter Computer zu sein scheint, denn es ist dauernd von Rechenprozessen, Rechenfähigkeiten, Schaltkreisen und dergleichen mehr die Rede. Das aber wird der Funktionsweise des Gehirns in keiner Weise gerecht und offenbart ein mangelndes Verständnis der wirklichen Vorgänge in diesem hochkomplexen Organ.
Je näher der Autor aber der Neuzeit kommt und damit die zugegebenermaßen schwierigen und kontrovers diskutierten Felder der Wissenschaft verlässt, umso besser lesbarer wird das Ganze. Allerdings fragt man sich am Ende der Lektüre, wo genau jetzt der Unterschied zu all den populärwissenschaftlichen Büchern besteht, die zu diesen Themen angeboten werden. Das, was Christian Big History nennt, haben bereits viele andere – zum Teil Jahrzehnte vor ihm und oftmals besser – gemacht und nannten das schlicht und einfach Wissenschaftsjournalismus. In Deutschland wäre hier vor allem Hoimar von Ditfurth (1921-1989) zu nennen. So wird man das Gefühl nicht los, dass unter dem Label Big History nur alter Wein in neuen Schläuchen präsentiert werden soll.
All jenen, die noch nie etwas zu den entsprechenden Themenbereichen gelesen haben, mag Christians Buch dennoch einen guten Überblick über die Geschichte der Welt vom Urknall bis zum sogenannten Anthropozän verschaffen – mit den hier genannten Einschränkungen. Alle Übrigen werden hier kaum etwas finden, was nicht schon von anderen Autorinnen und Autoren tiefgehender und mit mehr Sachverstand beschrieben wurde.
David Christian: Big History. Die Geschichte der Welt – vom Urknall bis zur Zukunft der Menschheit. Hanser Verlag, München 2018. 381 Seiten, 25 Euro