Herr Marzi, Sie haben gerade zusammen mit Manfred Renner das Buch Das Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie veröffentlicht. Da finden sich bereits im Titel zwei Begriffe, die nicht jedem bekannt sein dürften. Können Sie kurz erläutern, was sowohl unter »Circular Economy« als auch »Bioökonomie« zu verstehen ist?
Lieber Herr Löhr, da haben Sie direkt eine Frage gestellt, die sich, obwohl sie sich auf den Titel bezieht und einfach klingt, leider nicht in einem Satz beantworten lässt. Lassen Sie mich kurz erläutern, warum.
Das Buch richtet sich größtenteils an Forschende oder andere Interessierte, die sich bereits mit beiden Themen befassen. In der Praxis verstehen aber nicht alle dasselbe darunter. Wir haben im Buch deshalb ein ganzes Kapitel der Begriffsdefinition gewidmet. Verkürzt kann man sagen, dass mit beiden Konzepten ein anderes, ressourcenschonenderes Wirtschaften erreicht werden soll. Für die Circular Economy lässt sich das vielleicht so zusammenfassen: Übersetzt man den Ausdruck ins Deutsche erhält man das Wort »Kreislaufwirtschaft«. Von einer solchen wird jeder und jede wahrscheinlich schon einmal gehört haben und an das Recycling von Abfällen denken. Genau das ist aber der Grund, warum wir den englischsprachigen Ausdruck verwenden. Nicht, weil wir Anglizismen lieben, sondern weil eine Circular Economy mehr ist als eine Kreislaufwirtschaft. Sie ist eine andere Art des Wirtschaftens, die eine Wiederverwertung schon beim Produktdesign berücksichtigt. Eine Circular Economy ist nicht einfach nur Recycling, sondern setzt eine Systemveränderung voraus, bei der beispielsweise auch ein »mehr« an Gemeinschaftseigentum eine Rolle spielt.
Bei der Bioökonomie ist es noch komplexer. Der Begriff wird international unterschiedlich ausgelegt und hat sich in seiner Anwendung historisch gewandelt. Deswegen hier nur in aller Kürze: In Europa wird heute eine Wirtschaftsform darunter verstanden, die auf nachwachsenden Rohstoffen aufbaut und biotechnische Verfahren einsetzt.
Diese Systemveränderung im Zusammenhang mit der Circular Economy interessiert mich besonders. Wie kann man sich eine solche Systemtransformation ganz konkret vorstellen, die – wie sie auch in Ihrem Buch schreiben – den ökonomischen und sozialen Bereich miteinschließt? Worauf bezieht sich das Gemeinschaftseigentum?
Ein Aspekt der Systemtransformation kann beispielsweise sein, dass der Hersteller Eigentümer eines Produkts bleibt und die Nutzer es nach Gebrauch an ihn zurückgeben. Der Hersteller ist dann für dessen Verwertung zuständig und vielleicht motivierter als bisher, sein Produkt so herzustellen, dass man es auch reparieren oder aufarbeiten kann. Den Verbrauchern würde ein Produkt dann nicht mehr wie bisher gehören. Sie würden es nur eine bestimmte Zeit nutzen. Dabei muss allerdings vermieden werden, dass die Nutzungsdauer kürzer wird. Ein weiterer Aspekt ist die sogenannte Sharing-Economy, also eine »Ökonomie des Teilens«. Auch sie kann Teil einer Circular Economy sein. Produkte wie Autos, Geräte und Maschinen werden dann nicht von einzelnen, sondern von mehreren Personen genutzt. Unseres Erachtens gehört auch die sogenannte Suffizienzstrategie dazu, d.h. eine Veränderung des Lebensstils, mit weniger Konsum – jedenfalls in den reicheren Gesellschaften dieser Welt. Dass weniger Konsum dazu gehört, wird allerdings nicht von allen in der Circular Economy so gesehen. Wir halten Suffizienz aber allein deshalb für unentbehrlich, damit in den ärmsten Regionen überhaupt mehr Konsum möglich ist. Das Ganze ist also auch eine Frage der Verteilung.
Sie haben gerade gesagt, der Begriff Bioökonomie hätte sich historisch gewandelt. In Ihrem Buch nennen Sie drei Lesarten: Bioökonomie als ein »ökonomisches System, das sich an ökologischen Grenzen orientiert«, als »Life-Science-Industrie«, die »mithilfe von biologischem Wissen und Knowhow wirtschaftliches Wachstum erzeugen« möchte und zuletzt als ein ökonomisches Konzept, das fossile Rohstoffe durch nachwachsende ersetzen möchte. Welches dieser Konzepte hat sich durchgesetzt? Lässt sich das überhaupt sagen oder ist es vielleicht vielmehr eine Mischung aus den genannten Ansätzen?
Die Lesarten sind sicherlich so etwas wie Idealtypen, die in der Praxis durchaus vermischt vorkommen. Die Mischung kann international unterschiedlich ausfallen. In den USA beispielsweise, hat die biotechnische Lesart eine sehr viel größere Bedeutung als in Europa. Bei uns wird unter einer Bioökonomie eine Wirtschaftsform verstanden, die sogenannte biologische Ressourcen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen inklusive biologischen Wissens verwertet. Dabei werden die Themen der Bioökonomie zunehmend mit denen der Circular Economy verknüpft. Die erste Lesart: Bioökonomie als »ökonomisches System, das sich an ökologischen Grenzen orientiert«, ist sicherlich ins Hintertreffen geraten, da die Bioökonomie der 2000er und 2010er Jahre auch Wirtschaftswachstum generieren sollte. Dieser Aspekt wird inzwischen aber auch von offiziellen Stellen, wie dem Bioökonomierat – ein Gremium, das die Bundesregierung berät – zunehmend kritischer gesehen. So liest sich zumindest dessen erstes Arbeitspapier.
Sowohl die Circular Economy als auch die Bioökonomie lassen das Wachstumsparadigma des kapitalistischen Wirtschaftssystems unangetastet. Mehr noch möchte die Bioökonomie unter Zuhilfenahme biologischen Wissens noch mehr Wachstum generieren. Müsste es aber nicht vielmehr darauf ankommen, eine grundsätzlich andere Wirtschaft zu entwickeln, die den Wachstumsimperativ überwindet – Stichwort Postwachstumsökonomie? Anders gefragt, welche Rolle könnten Bioökonomie und Circular Economy innerhalb einer Postwachstumsökonomie spielen?
Herr Löhr, das ist eine berechtigte Frage, die ich aber nicht eindeutig beantworten kann. Je nachdem, wen man fragt, gibt es in der Circular Economy durchaus das Prinzip des »Reduce«, das durchaus den Verzicht auf bestimmte Produkte beinhalten kann. Andere wiederum sagen, dass die Circular Economy den Ressourcenverbrauch senken und trotzdem ökonomisches Wachstum wie bisher generieren kann. Letzteres glaube ich nicht. Wir haben es hier nicht mit einem Perpetuum mobile zu tun, mit dem Materialien endlos wiederverwertet werden können. Der Wiederverwertung sind Grenzen gesetzt, auch physikalische. An dieser Stelle haben Sie also mit Ihrer Frage einen Punkt gesetzt. Eine Circular Economy und Bioökonomie entbindet uns nicht von der Aufgabe, uns mit der Wachstumsthematik auseinandersetzen. Dass das nicht einfach ist, ist klar, schließlich wäre ein Teil des kulturellen Fortschritts, zu dem ich auch Minderheitenrechte zähle, ohne Wachstum und Wohlstand vielleicht nicht möglich gewesen. Davon bin ich jedenfalls persönlich überzeugt, auch wenn ich das nicht beweisen kann.
Wie eine Postwachstumsökonomie aussehen kann, dazu gibt es Konzepte, beispielsweise von Niko Paech. Ob sie funktionieren, wissen wir leider nicht. Was wir aber wissen ist, dass das aktuelle wachstumsbasierte System nicht mehr lange funktionieren kann. Wir müssen also etwas verändern, auch wenn wir das Resultat nicht kennen. Diese Veränderung wird man aber ohne Circular Economy nicht hinkriegen. Auch wenn sie vielleicht nur ein – wenn auch ein unentbehrlicher – Teil ist, mit irgendetwas muss die Transformation beginnen. Die Circular Economy und im begrenzten Umfang vielleicht auch die Bioökonomie sehe ich als Instrumente, die insgesamt dazu beitragen können, ein »Mehr« an Nachhaltigkeit zu erreichen.
In Ihrem Buch geht es ja nicht nur darum, die Konzepte der Circular Economy und Bioökonomie in allen Details zu beschreiben, sondern auch darum das diesen ökonomischen Konzepten zugrundeliegende Naturverständnis darzustellen. Auf welche Naturkonzeptionen berufen sich die jeweiligen Ansätze?
Implizit deuten sie die Natur als ökonomisches System. Damit sind sie allerdings nicht allein. Die Idee, dass es sich bei der Natur, um einen Prozess handelt, der mit ökonomischen Zusammenhängen vergleichbar ist, ist weit verbreitet. Sie findet sich auch in der Ökologie. Denken Sie nur an die Begriffe »Produzenten« und »Konsumenten«. Das sind ökonomische Begriffe, die wohl noch auf Adam Smith zurückgehen. In der Ökologie werden Pflanzen, weil sie Sonnenlicht und anorganische Stoffe in etwas Organisches umwandeln als Produzenten bezeichnet, während Tiere, die das nicht können und deshalb Pflanzen und andere Tiere fressen, »Konsumenten« genannt werden.
Schon im Begriff Ökologie steckt zwar bereits das griechische Wort »oikos«, das so viel wie Haushalt bedeutet, doch die Parallelen zu dem, was wir unter Ökonomie verstehen, enden doch sehr schnell. Bräuchten wir nicht ein grundsätzlich anderes Verständnis von Natur, als in ihr lediglich ein ökonomisches System zu sehen? Müssten wir uns nicht von der anthropozentrischen Perspektive lösen, die der Illusion nachhängt, die Natur wäre allein für unsere Bedürfnisse da? Auf welchem tier- und umweltethischen Fundament ruhen in diesem Zusammenhang die von Ihnen beschriebenen ökonomischen Systeme der Circular Economy und Bioökonomie?
Das ist ein wichtiger Aspekt. Die Analogie zwischen Natur und Wirtschaft gründet sowohl in der Circular Economy und Bioökonomie als auch in der Ökologie darin, dass Stoffe zwischen sogenannten Akteuren ausgetauscht werden. Damit hört die Ähnlichkeit aber schon auf. Die Prozesse in der Natur sind keine ökonomischen Vorgänge. Es entstehen zwar Stoffe, die an andere weitergeben werden, es handelt sich aber nicht um Produkte im ökonomischen Sinne, die zu einem bestimmten Zweck – nämlich den, das Bedürfnis eines anderen zu befriedigen oder zu wecken – hergestellt werden. Auch ein dem Geld analoges Zahlmittel gibt es nicht. Ob man in diesem Fall davon sprechen kann, dass diese Betrachtung auf einem tier- oder umweltethischen Fundament ruht, weiß ich nicht. Ich bin kein Ethiker. Wenn ja, das ist es wohl dem einer Marktwirtschaft ähnlich.
Ihr Fazit am Ende des Buches fällt, was die Circular Economy betrifft, positiv aus. Für die Bioökonomie gilt das nur, wenn es sich um ihre klassische Form handelt, also um ein System, das sich an ökologischen Grenzen orientiert. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, das ökonomische System frei gestalten zu können, wie würde es aussehen? Was ist in diesem Zusammenhang Ihre persönliche Utopie?
Lassen Sie mich diese Aussage präzisieren. Für eine, ich betone, unbeschränkte Biomassenutzung kann man gar nicht sein, wenn man das Wort Bioökonomie ernsthaft in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit verwenden möchte. Die Herstellung von Biomasse wird immer auch mit ihren anderen Bedeutungen in Konkurrenz stehen. Vielleicht haben sie es gemerkt, dass ich versuche, hier keine zu anthropozentrische Perspektive zu transportieren und das sonst in diesem Zusammenhang gebräuchliche Wort »Nutzung« zu vermeiden. Landwirtschaftliche Flächen haben einen ökonomischen Nutzen und eine Wildnis hat den vielleicht auch. Man kann letztere aber nicht darauf reduzieren. Was eine Wildnis ist, geht weit darüber hinaus. Sie hat Bedeutung, u.a. auch eine ökologische. Aber zurück zu den angesprochenen Konflikten: Eine grenzenlose Biomassenutzung würde zu Lasten natürlicher Ökosysteme gehen. Sie darf deshalb, um nicht kontraproduktiv zu wirken, nur im Rahmen ökologischer Grenzen erfolgen. Letzteres will auch die Ökologische Ökonomie oder wie wir sie genannt haben, die klassische Bioökonomie. Sie oder das Prinzip der Nachhaltigkeit würde ich als übergeordnetes Konzept betrachten, zu dem sowohl die Circular Economy als auch die moderne Bioökonomie ihren Beitrag leisten können.
Abschließend komme ich zu Ihrer letzten Frage. Sie ist sicherlich die schwerste und ich zögere doch sehr, ihr nachzukommen. Ich bin kein Ökonom und, ehrlich gesagt, kann ich sie nicht beantworten. Ich weiß nur, dass es auf die aktuellen Krisen keine eindimensionalen Antworten geben kann. Ohne Zweifel benötigen wir, um acht oder zehn Milliarden Menschen zu ernähren, eine leistungsfähige Ökonomie und technische Verfahren. Allein sie werden uns aber nicht aus der Patsche helfen. Auch wenn es neue und bessere Technik ist, sie wird die Probleme nicht lösen, wenn wir nicht auch ökonomisch anders mit ihr umgehen. Entscheidend wird sein, ob es uns gelingt, lokal und global zusammenarbeiten. Es ist also nicht nur eine Frage unseres Verhältnisses zu dem, was wir insgesamt Natur nennen, auch wie wir unsere Mitmenschen und Mitgeschöpfe wahrnehmen und behandeln ist wichtig. Demut statt Hybris wäre da vielleicht ein guter Anfang. Ohne den einzuschlagenden Weg selbst zu kennen, auf dieser Basis finden wir ihn vielleicht. Mir ist klar, dass es aktuell wieder einmal nicht so aussieht, als ob das möglich wäre, aber die Verhältnisse können sich auch ändern. Manchmal auch sehr rasch. Ein Geschöpf, das Raumfahrt betreibt und den Planeten zeitweise verlassen kann, sollte eigentlich auch in der Lage sein, diesen und sich selbst zu erhalten. Das ist jedenfalls meine Hoffnung.
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Zur Person
Dr. Thomas Marzi studierte Chemie an der Universität-GH-Duisburg und promovierte dort in Physikalischer Chemie. Er ist seit 30 Jahren beim Fraunhofer-Institut UMSICHT tätig. In den letzten Jahren untersucht er multidisziplinäre Aspekte übergreifender Themen, wie der Circular Economy und Bioökonomie. Er lehrt hierzu an der Ruhr-Universität Bochum (RUB).