Glaubt man dem Gottlieb Duttweiler Institute (GDI), dann zählt Harald Welzer gegenwärtig zu den einhundert wichtigsten Vordenkern der Welt. Das mag an sich nicht weiter von Bedeutung sein, denn auf der betreffenden Liste finden sich auch Namen wie Peter Sloterdijk und Richard Dawkins…

Der Name Harald Welzer steht dort dagegen zu Recht. Denn der Direktor von Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit und Professor für Transformationsdesign analysierte in seinen letzten Veröffentlichungen sehr klar die Ursachen der aktuellen gesellschaftlichen, ökologischen und sozialen Probleme. Darüber hinaus widmet er sich gesellschaftlichen Transformationsprozessen und zeigt die damit verbundenen Gefahren, aber auch die Möglichkeiten auf. Dabei ist der Einfluss seiner in mittlerweile 21 Ländern erschienenen Bücher kaum zu überschätzen. 

Wir kapitulieren freiwillig vor den Feinden der Freiheit

In seinem aktuellen Buch widmet er sich dem Thema Überwachung und Beeinflussung in all seinen Facetten und befürchtet, dass „wir es heute mit einem neuen Phänomen zu tun haben; einer freiwilligen Kapitulation vor den Feinden der Freiheit.“ Im Mittelpunkt seiner Untersuchungen, wie auch seiner Kritik, steht dabei die Verbindung von Konsum und Überwachung, bzw. Steuerung. Mit jedem Kauf generieren wir Daten, die gesammelt und dazu verwendet werden, um ein individuelles Profil der Käuferin bzw. des Käufers zu erstellen. Das wiederum wird dazu verwendet, um dem Konsumenten personalisierte Angebote zu machen, bei deren Kauf wiederum Daten generiert werden. So kommt Welzer zu dem Schluss, dass die „Überwachungsmaschine“ deshalb so reibungslos läuft, da „die jahrzehntelange erfolgreiche Dressur des Konsumenten (…) in der Technologie beide Universen zusammenführt – und weil er gern die Angebote nutzt (…) liefert er auch gern seine Daten. Die dann wiederum zur Verfeinerung seiner Dressur verwendet werden.“ Das Fatale an dieser Entwicklung ist dabei, dass wir uns zunehmend in einem perfekt auf uns und unsere – künstlich erzeugten – Wünsche zugeschnittenen Raum bewegen, der keine Möglichkeit des Neuen mehr zulässt. Das Neue aber, so Welzer, ist unabdingbare Voraussetzung für die Schaffung von Erkenntnisgewinn.

Harald Welzer - Die smarte Diktatur. Rezension von Eckart Löhr
(Foto: S. Fischer Verlag)

Ein weiteres totalitäres Element glaubt der Autor in der Zerstörung sozialer Beziehungen zu finden. Unmittelbare lebendige Kontakte würden zunehmend durch mediale Beziehungen ersetzt und damit der einzelne Mensch mehr und mehr isoliert. Das Problem hierbei, so Welzer, ist die bemerkenswerte Tatsache, dass sich das alles „innerhalb des nach außen stabil aussehenden Systems“ vollzieht und die damit einhergehenden negativen Veränderungen nicht unmittelbar wahrgenommen werden. „Die Auflösung der Demokratie geschieht im Rahmen der Demokratie.“

Diese Veränderungen vollziehen sich dabei so schleichend, dass wir unsere Wertvorstellungen der sich verändernden Umgebung nach und nach anpassen. Welzer beschreibt dieses Phänomen mit dem Begriff der „Shifting Baselines“ und sieht darin eine der Hauptgefahren für die Demokratie und einen der Hauptgründe für die schleichende Erosion demokratischer Errungenschaften. Den Protagonisten der „Digitalen Revolution“ wirft er vor, dass es ihnen langfristig um die Abschaffung des Staates und seiner Institutionen geht, denn „hinter all dem wird erkennbar, dass es hier nicht um Demokratie und Gewaltenteilung geht, sondern um eine Welt der totalen wechselseitigen Kontrolle, in der keine Institution den Einzelnen schützt und jeder die Gestapo des anderen ist.“

Jeder Kampf gegen die herrschenden Zustände muss bereits das Bild eines anderen, besseren Lebens beinhalten

Um den Einzelnen oder die Einzelne dazu zu bringen, diesem System Widerstand entgegenzusetzen, plädiert der Autor dafür, die Menschen dort abzuholen, wo sie gerade sind. Das heißt, das jeweilige Problem muss die Menschen zum einen in ihrer persönlichen Lebenssituation ansprechen, zum anderen muss die grundsätzliche Möglichkeit bestehen, überhaupt etwas verändern zu können. So ist es, Welzer zufolge, wichtig, eine „Ästhetik des Widerstands“ zu schaffen, das heißt, jeder Kampf gegen die herrschenden Zustände muss bereits das Bild eines anderen, besseren Lebens beinhalten. Zuletzt weist der Autor vehement darauf hin, dass, entgegen der glattpolierten Oberfläche der digitalen Welt, alle Produkte einschließlich der digitalen selbst nach wie vor „offline“ erzeugt werden. Mit all dem Dreck und all dem menschlichen Leid, das mit der Wertschöpfungskette, die der Autor als „Gewaltschöpfungskette“ bezeichnet, verbunden ist. Welzer lehnt die digitalen Techniken nicht ab, beharrt aber darauf, dass das Soziale dem Digitalen stets vorausgehen muss und das Digitale uns zu dienen hat, nicht umgekehrt.

Bei aller Sympathie mit seinen Analysen und Gegenvorschlägen, die noch dazu in einer gut lesbaren, gänzlich unprätentiösen Sprache geschrieben sind, muss sich der Autor doch eine Kritik gefallen lassen. Da für Welzer die Bürgergesellschaft das neue Subjekt der Geschichte ist, gilt ihm seine alleinige Aufmerksamkeit. Direkter formuliert könnte man sagen, dass er die Lösung praktisch aller Probleme dem Individuum, bzw. dem einzelnen Konsumenten aufbürdet. Persönliche Verantwortung jedes Einzelnen einzufordern ist sicher richtig, darf aber nicht davon ablenken, dass es ebenso darum gehen muss, übergeordnete Strukturen anzugreifen und zu verändern. Unabhängig davon sind es aber gerade die Analysen, die zwar keine hinreichende, aber doch die notwendige Bedingung für einen gesellschaftlichen Wandel sind. Denn vor dem ohne Zweifel dringend nötigen Widerstand muss man erst einmal begreifen, gegen was oder wen sich dieser Widerstand richten soll. Da wir nicht zuletzt selbst Teil der Problematik sind, ist es deshalb umso wichtiger, die subtilen und zum Teil perfiden Methoden der „smarten Diktatur“ aufzudecken.

Was Harald Welzers Bücher dabei immer wieder auszeichnet ist die Tatsache, dass es ihm gelingt, den Lesern trotz der teils deprimierenden Fakten die Einsicht zu vermitteln, dass die Verhältnisse veränderbar sind und es gelingen kann, aus der Passivität des nur noch Konsumierenden auszubrechen. Diese „Wiederaneignung“ der Welt sieht er in erster Linie im Wechsel vom konsumtiven – hin zu einem reduktiven Lebensstil, denn „jenseits der Steigerungslogik erfüllen sich die Versprechen, hier erst öffnet sich Raum für eigene Zeit, eigene Interpretationen, eigene Absichten, kurz: für die autonome Gestaltung des eigenen Lebens.“

Harald Welzer: Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit. S. Fischer, Frankfurt 2016, 319 Seiten, € 19,99

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Eckart Löhr ist Gründer von re-visionen.net und verantwortlicher Redakteur. Seine thematischen Schwerpunkte liegen im Bereich Umweltethik, Ökologie und Gesellschaft.

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